Mit dem Körper glauben

Auf die Frage, wo denn der Geist des Menschen im Körper verortet werden könne, würden wahrscheinlich viele antworten: «Der ist im Kopf zu finden». Und es stimmt: Intellekt, Rationalität und das Denken als solches werden in unserer Gesellschaft grossgeschrieben. Doch was ist mit dem Rest des Körpers? Ist der vollkommen geistlos?

Blickt man in die Geschichte des Christentums, kann man rasch feststellen, dass die Abwertung des Körpers zugunsten des Verstandes nicht immer schon galt. Denn was heute wieder verstärkt in den Blick der Forschung gerät, war für die Meisterinnen und Meister der Kontemplation und Meditation schon lange klar – Körper und Geist lassen sich nur schlecht voneinander trennen. Mehr noch: sie beeinflussen sich wechselseitig.

Bereits zu Zeiten des Johannes Cassian (360-435 n. Chr.) spielte die christliche Meditation in Form tiefer mystischer Versunkenheit eine grosse Rolle. Cassian hat aus der Wüste Ägyptens und von den dort lebenden Mönchen und Nonnen das sogenannte Ruhegebet mitgebracht. Bei dieser Gebetsform sitzt man ganz still, nimmt bewusst den Körper und den Atem wahr und wiederholt eine kurze Gebetsformel. Das führt zu tiefer innerer Stille und einem inneren Frieden.

Über die Jahrhunderte hinweg wurden solche und ähnliche Gebets- oder Meditationsformen in den christlichen Klöstern geübt, gepflegt und weitervermittelt. Viele christliche Mystikerinnen und Mystiker verweisen immer wieder auf die tiefen Erfahrungen mit Gott, die sie durch solche Gebetsformen gemacht haben. Neben bekannten Mystikern wie Marguerite Porete, Meister Eckhart und Johannes Tauler (letztere wurden sehr geschätzt von Martin Luther) gibt es auch in der reformierten Tradition grosse Persönlichkeiten, die man als Mystiker bezeichnen kann.

Die Botschaft der Mystikerinnen und Mystiker ist heute vielleicht aktueller denn je: Es lohnt sich, sich regelmässig in die Stille zu begeben, ganz still zu werden, den Körper und den Atem wahrzunehmen und zu horchen, was Gott zu sagen hat. Nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem gesamten Körper. Denn: Glauben ist auch eine Körperübung.

Zum Thema der Körperübungen wird am 30. April 2022 ein Workshop im Mischeli-Zentrum stattfinden. Diese Entspannungsoase wird jungen Eltern und allen Interessierten die Gelegenheit geben, für einen Nachmittag die Alltagssorgen und den Stress loszulassen und ganz zu sich zu kommen.

Marc-Andrin Eggenschwiler

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