Herr, was soll ich predigen? (Perikopen zum Beispiel)

Die Frage «Herr, was soll ich predigen?» äussere ich nicht als Stossseufzer, sondern schliesse an eine Frage aus unserer Gemeinde an, wonach wir Prediger/innen unsere Sonntagspredigt ausrichten? – Der Prophet Jesaja fragte Gott «Herr, was soll ich predigen?», als er gehört hatte: «Tröste mein Volk – Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott». In christlicher Tradition sind dies die Eingangsworte zu Weihnachten. (Jesaja 40,3 zitiert in Matthäus 3,3 Lukas 3,5 und Johannes 1,23) Weihnachten, ein hohes Fest, da steht der Predigttext fest. Zu Weihnachten gehören bekannte Worte, die Orientierung bieten, Orientierung im Rhythmus der Zeit. Fehlte nicht Etwas, wenn wir an Feiertagen die bekannten Worte nicht hörten? Aber wie ist das an den vielen Sonntagen im Jahr?

Ich mag mich erinnern, wie vor Jahrzehnten in Leserbriefen mit Kirchenaustritt gedroht wurde, wenn Pfarrer aus dem «Blick» (Blick ist dabei!) gepredigt hatten. Man entrüstete sich: Wie kann man Schlagzeilen des Boulevardblattes als Ausgangpunkt für die Predigt nehmen? Vielleicht waren sie nur unzeitig, diese Predigten, denn heute steht, wie ein entferntes Echo aus jener Zeit das «Bibel-Blatt – Der Weltbestseller in Schlagzeilen» in den Regalen einschlägiger Buchhandlungen. Der Verfasser von Bibel-Blatt übersetzt bekannte Gedanken in eingängige Schlagworte: Keine Übersetzung im eigentlichen Sinn, aus dem Urtext, sondern als Arbeit eines Werbetexters. «Gott erschafft die Welt. Sechs Tage genügten!», lautet da die Schlagzeile über die Schöpfung des Universums. Die Reporter des Bibelblattes waren (müsste man meinen) dabei, stets auf der Suche nach sensationellen Storys. Könnten Sie solche Worte ansprechen – es könnte dann-und-wann auch interessieren? Aber selbst die Boulevardblätter suchen heute Leser/innen.

Ja, was soll ich predigen? Nach der Perikopenordnung, zum Beispiel. Perikopen (von gr. perikopé «rings umhauenes Stück») sind Abschnitte der Bibel, die für die Lesung im Gottesdienst bestimmt sind. Unsere sonntägliche Schriftlesung, welche aus der Synagoge in die Kirche überging, war in der alten Kirche zuerst die durchgehende Lesung des Bibeltextes (lectio continua). Der Entwicklung bis ca. 800 n.Chr. verdankt sich dann in der Hauptsache der Bestand der für alle Sonn- und Festtage im Kirchenjahr der katholischen Kirche vorgeschriebenen Evangelienperikopen und Episteln. Martin Luther behielt diese mit einigen Abänderungen bei, während Ulrich Zwingli («wieder») fortlaufend über das Matthäusevangelium predigte.

Heute sind meist sechs festgelegte Perikopenreihen in Gebrauch, die für jedes Jahr eine festgelegte Leseordnung festlegt; nach sechs Jahren beginnt der Zyklus dann von vorn. (Pfarrverein, Perikopen)

Aber eigentlich sind wir frei, den Predigttext auszuwählen. Festtage, Sonntage mit eigener Ausrichtung wie z.B. der Flüchtlingssonntag, thematische Reihen im Team oder Musikgottesdienste können Anhaltspunkte für die Lesung, den Predigttext geben. Die Liturgiekommission hält fest «Die reformierten Kirchen haben den ausführlichen Jahresfestkreis, wie er beispielsweise für lutherische und katholische Kirchen prägend ist, weitgehend auf die Hauptfesttage reduziert. … In der reformierten Deutschschweiz sind Pfarrpersonen frei, den jeweiligen Predigttext für einen bestimmten Sonntag zu wählen.»

Womit wir wieder am Anfang dieser Gedanken stehen.

Benedikt Schölly

[Bildnachweis: Adrian Brüngger]

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