Revolutionär: Zum Karl Barth Jahr 2019

Vor hundert Jahren veröffentlichte der Theologe Karl Barth seinen ersten Kommentar zum Römerbrief des Paulus – ein Werk, das die reformierte Theologie revolutionierte. Evangelische Kirchen in Deutschland und der Schweiz haben deshalb zusammen mit Theologischen Fakultäten das Jahr 2019 zum Karl Barth-Jahr erkoren.

Am 20. April 1962 zierte Karl Barths Konterfei das Cover des weltweit renommierten «Time Magazine». Anlässlich seines ersten US-Besuchs wurde er in einer fünfseitigen Titelstory porträtiert. Unter den US-amerikanischen Protestanten, so das Magazin, habe seine Ankunft für ein solches Aufsehen gesorgt, als wäre der Papst bei einer Versammlung der Jesuiten aufgetaucht.

Cover des Time Magazines 1962.

Das Coverfoto zeigt Barth mit strengem, ja mürrischem Blick – eine Erscheinung, die dem Hollywood-Klischee eines deutschen Professors entspreche, wie das «Time Magazine» meinte («Barth looks like a Hollywood type-cast of a German professor»).

Damals, in den 1950er- und 1960er-Jahren, erlebte der in Basel lehrende und oft im Gefängnis predigende Barth den Höhepunkt seiner Popularität.

Heute ist der Name Karl Barth ausserhalb von Fachkreisen nicht mehr so geläufig wie damals. Würde man auf dem gleichnamigen Platz im Basler Gellert-Quartier, wo Barth zur Welt kam und lange Jahre lebte, nach dem Namensgeber fragen, stiesse man wohl auf viele Fragezeichen.

Ganz anders an der Bruderholzallee 26, wo Karl Barth von 1955 bis zu seinem Tod 1968 in einem typischen Einfamilien-Reihenhaus wohnte. Dort ist seit 1971 das Karl Barth-Archiv untergebracht, das im Jahr 2015 mit der Gründung des Karl Barth-Zentrums für reformierte Theologie offizieller Bestandteil der Theologischen Fakultät der Universität Basel wurde. Der Bau hat noch immer den Charakter eines Wohnhauses. Ist es ja auch noch, denn der Theologe und Historiker Peter Zocher, Archivleiter und Herausgeber der Karl Barth-Gesamtausgabe, lebt im Haus, in dem nicht nur Forscher, sondern jährlich auch bis zu 250 Besucher aus aller Welt verkehren.

Barth war nicht nur ein Ausnahme-Gelehrter – «er nahm zu nahezu allen theologischen Fragen Stellung, stellte sie in zentralen Punkten in Frage und formulierte damit in seinen Schriften die Theologie im 20. Jahrhundert neu», sagt Zocher.

1919 begründete Barth mit seinem ersten Kommentar zum Römerbrief von Paulus seine Laufbahn als theologischer Revolutionär. Erschüttert von den Pamphleten seiner theologischen Lehrern in Deutschland, die mit wenigen Ausnahmen den Ersten Weltkrieg als gottgegebenes Ereignis begrüssten, suchte er nach einer neuen religiösen Grundlage, die sich vereinfacht auf die Formel «Gott ist Gott» bringen lässt.

Damit wandte er sich klar von der Vereinnahmung Gottes durch die Menschen ab. Gott sei grundsätzlich anders und entziehe sich damit jeglichem menschlichen Zugriff, so Barths Auffassung, die auch ein durchaus erkanntes Dilemma enthielt.

1922 schrieb er in einem Aufsatz: «Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre erweisen.»

Diese Worte, sagt die reformierte Theologin und Reinacher Pfarrerin Florence Develey, seien eine subversive Weichenstellung für die Theologie des 20. Jahrhunderts gewesen. «Sich an Gott zu halten bedeutete so zwangsläufig, sich gegen das herrschende damalige nationalsozialistische Regime zu stellen, das die Überordnung der Herrenrasse als vermeintlich göttliche Ordnung etablieren wollte.» Bis heute gibt es ihres Erachtens in der Theologie keinen Weg, der ohne die wegweisenden Worte Karl Barths gegangen wird.

Dominique Sprigi, Journalist. Auszug aus seinem Barth-Artikel in „Schweiz am Wochenende“ vom 24.3.2019.

[Bildnachweis: Karl Barth schaffte es 1962 auf das Cover des Time Magazines. postbarthian.com]

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